BayernUp2Date 0030

 

 

Liebe Leserinnen und Leser,

„Wohltätigkeit“, soll Heinrich Pestalozzi gesagt haben, „Wohltätigkeit ist das Ersäufen des Rechts in der Mistgrube der Gnade.“ Anders ausgedrückt: Wer Almosen verteilt, nimmt Menschen die Würde. Erwerbslose kennen das Gefühl. Schlimm genug, keinen Job zu haben, da will man sich nicht auch noch diskriminieren lassen. Was das mit Digitalisierung zu tun hat? Mehr als wir dachten, besonders wenn Algorithmen im Spiel sind. Aber lesen Sie selbst.

Wieder ein Stück schlauer grüßt
Ihre
Redaktion von BayernUp2Date

 

Inhalt:
+ Wenn der Roboter übernimmt
+ Teilnahme? Von wegen!
+ Einmal diskriminiert, immer diskriminiert
+ Das Wort zum Sonntag
+ Termine
+
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Wenn der Roboter übernimmt
Nehmen Roboter uns die Jobs weg? Der meinungsstarke Philosoph Richard David Precht warnt vor Massenarbeitslosigkeit. Diese Befürchtung sei so verbreitet wie unbegründet, schreibt dagegen Cicero. Auch das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung winkt ab und belegt, dass zwischen 1976 und 2017 stets mehr neue Jobs entstanden sind als alte verschwanden. Allerdings würden die neuen anspruchsvoller. Stimmt nicht, sagt Internet-Guru Sascha Lobo. Überqualifikation sei das Problem, denn „je klüger die Maschine, desto weniger gut ausgebildet muss die Person sein, die an oder mit ihr arbeitet.“ Solche Leute könne man beliebig schlecht bezahlen. Nicht nur Precht geht davon aus, dass die Digitalisierung Jobs kostet. Sogar Gewerkschafter*innen rechnen damit und fordern auch deshalb ein bedingungsloses Grundeinkommen.

 
Teilnahme? Von wegen!
Das Arbeitslosengeld 2, bekannt als Hartz IV, soll alles Lebensnotwendige finanzieren, auch die „Teilnahme am sozialen und kulturellen Leben“. Kaum möglich ohne Rechner und Internet. Für „Kauf und Reparatur von Festnetz und Mobiltelefonen sowie anderen Kommunikationsgeräten“ enthält der Hartz-IV-Regelsatz 2,46 Euro im Monat, für Reparatur von Datenverarbeitungsgeräten 17 Cent. Das reicht nicht für einen eigenen Rechner. Den brauchen Erwerbslose aber, um technisch auf dem Laufenden zu bleiben – unabdingbar, wenn sie jemals wieder einen Job bekommen wollen. Und außerdem: Wer will seinen Hartz-IV-Antrag im Internetcafé ausfüllen, wo einem jeder über die Schulter sehen und mitlesen kann? Oder mit der ver.di-Beratung für Erwerbslose und Aufstocker vom Rechner im Jobcenter aus kommunizieren?    
 

Einmal diskriminiert, immer diskriminiert
Es braucht ja nicht einmal ein „blindwütiger Verwaltungscomputer“ zu sein wie in Schweden, wo plötzlich Tausende Arbeitslose ihr Geld nicht erhielten, weil der Computer verrückt spielte. Oder wie in Spanien, wo eine Software einer halben Million Menschen keinen Stromkostenzuschuss zugestand. Probleme entstehen auch, wenn die Software normal funktioniert. Weil sie nämlich gerne mal diskriminiert. „Auf dem Arbeitsmarkt ist das Diskriminierungspotenzial besonders hoch“, schreibt Algorithmwatch. Wenn Algorithmen die Jobchancen Arbeitsloser berechnen sollen, sehen sie sich den Arbeitsmarkt der letzten Jahre an. Gab es da kaum Frauen und Leute über 50, werden sie Frauen und Ältere gar nicht erst  fördern. Bringt ja doch nichts. So wird Diskriminierung fortgeschrieben. Polen will sein heftig kritisiertes Bewertungssystem für Arbeitslose wieder abschaffen, Österreich seines trotz aller Bedenken 2020 einführen. In Deutschland entscheidet immer ein Mensch, versicherte die Bundesregierung auf eine einschlägige Anfrage (Antwort auf Frage 19). Doch gelegentlich steht selbst der mächtigste Mensch der Macht der Algorithmen hilflos gegenüber. Das erlebte Ibrahim Diallo aus Kalifornien, der mit dem Firmenausweis plötzlich nicht mehr durch die Sperre kam. „Das System wollte Blut sehen“, schreibt er. Es hatte ihn entlassen und sein Profil gelöscht. Nicht einmal die oberste Chefin konnte das rückgängig machen, und Diallo musste neu eingestellt werden.

 
Das Wort zum Sonntag
Hier versuchen wir normalerweise mit skurrilen Meldungen, Ihnen ein Schmunzeln zu entlocken. Dass wir stattdessen heute das „Wort zum Sonntag“ einblenden, hätten wir nicht gedacht. Doch kürzlich stießen wir auf etwas, bei dem selbst uns das Lachen verging: eine App für Spenden an Obdachlose. Jede*r Obdachlose trägt einen QR-Code. Den scannt man ein, spendet per Handy und kann in der App jederzeit kontrollieren, wofür das Geld verwendet wurde. Das findet Pfarrer Gereon Alter in seinem Wort zum Sonntag auf den ersten Blick toll, auf den zweiten entwürdigend. Wir auch. 

Termine

  • Mittwoch 9. Oktober 2019, 9:00–18:00 Uhr, München: „Künstliche Intelligenz und die Automatisierung des Entscheidens“. Infos und Anmeldung
  • Freitag 11. bis Sonntag 13. Oktober 2019, Fürth: „Bessere Menschen? Technische und ethische Fragen in der transhumanistischen Zukunft“. turmdersinne-Symposium 2019. Infos mit Link zur Anmeldung
  • Dienstag 15. Oktober 2019, 17 Uhr, Ingolstadt: „Die digitale Transformation: Wer macht die eigentlich? Infos mit Hinweis zur Anmeldung
  • Samstag 19. Oktober 2019, 10:30–16 Uhr, München: „mti/AIN-Forum - Gesundheitswesen im Wandel. Digitalisierung und Gesundheits- und Pflegepolitik“. Infos und Anmeldung (bis 7.10.)
  • Donnerstag 24. Oktober 2019, 9:30–18 Uhr, Berlin: „Transformation = nachhaltig + digital. Politische Gestaltung zwischen Möglichkeiten, Risiken und falschen Versprechungen“ Jahrestagung des Ökoinstituts Freiburg (mit Livestream). Infos
  • Dienstag 29. und Mittwoch 30. Oktober 2019, Berlin: „Digitaler Kapitalismus“. Kongress der Friedrich-Ebert-Stiftung. Infos

Ihre Hinweise auf Veranstaltungen zur Digitalisierung greifen wir gerne auf. Bitte per E-Mail an die Redaktion.
 

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